Dorthin und wieder zurück (Remix auf Arrak-Basis)
In der Kelvin-Zeitlinie (benannt nach dem ausgeraubten Geldtransporter) blieb der Überfall nicht folgenlos: Die Versicherung schickte uns ihren Agenten Trickerat Hobbes, genannt Tricky, hinterher, der mit seiner Titanyacht nur wenige Tage nach uns auf der Insel angelangte. Irmi fand Unterschlupf bei dem unerwartet vermögenden Perrückenmacher, der sie, nach einer gegenseitigen Versicherung, es seien keine Hintergedanken im Spiel, auf eine Reise nach den Malediven (und später Richtung Triest) mitnahm. Ich hatte nun den ganzen Toupet-Laden am Hals, als Tricky Hobbes mich nach meiner Reisegefährtin aushorchen wollte. Im Gegenzug würde er mich nicht wegen Mittäterschaft, äh, hops nehmen... Just in diesem Moment betrat Karl „Ranko“ Scheuermilch den Verkaufsraum und fragte nach einem Schweinsborsten-Vollbartimitat. Gerade eben waren nämlich die Jungs von Flokfolk reingeschneit und hatten angekündigt, die alte Band wieder zusammenzubringen, um irgendwelche Steuerschulden zu begleichen, und alle, die auf das Tourplakat (und das dazugehörige Plattencover) wollten, mussten Männer mit Bärten sein. Es kam, wie es kommen musste: Ranko ging auf Tour, Tricky hütete bei ihm ein und freundete sich mit den Cousinen an. Er professionalisierte den Vertrieb der Gewürztees, ich steuerte die Idee bei, das Zeug mit Ananasnektar und Arrak zu servieren, und machte aus der Perrückenwerkstatt eine Bar nebst Tretbootverleih. Irmi und Ranko waren schnell aus dem Sinn, Tricky und ich sind seitdem Partner (selbstverständlich ohne Hintergedanken, wie wir einander sogleich versicherten). Doch meine berufliche Auszeit ging schnell zu Ende und weil ich meiner Pensionsansprüche nicht verlustig gehen wollte, flog ich zurück nach Wanne-Eickel. Da sich diesmal weder Irmi noch ihr Exmann um die Blumen gekümmert hatte, musste ich erst einmal die Fensterbänke ausmisten. Die Glatze trage ich seitdem mit Stolz, aber das ziemlich ausgefranste Flokfolk-Tatoo habe ich mir weglasern lassen. Genauer gesagt: Hätte ich, denn das alles hat sich ja nur in der Parallelwelt abgespielt. Das Endergebnis ist ja fast das Gleiche, und ich kann mich schließlich nicht um alle Zeitlinien gleichermaßen kümmern.
08/2018
Dorthin und wieder zurück
Meine Nachbarin, nennen wir sie Irmela, singt. Sie hatte einige meiner Gedichte vertont und als sie sie mir vortrug, fielen mir mit einem Schlag sämtliche Haare aus. Das war ihr todpeinlich, mir aber auch, da nach zwanzig Jahren das Flokfolk-Tatoo zum Vorschein kam (eine Jugendsünde, die alten Platten höre ich längst nicht mehr). Irmela bot als Entschädigung an, ich dürfte mir auf ihre Kosten eine Perücke aussuchen, das fand ich korrekt. Ich war gerade im Sabbatjahr und wollte rotblonde Dreads, doch das einzige Modell, das mir gefiel, war nur in einem Laden in einem malaiischen Inselparadies zu bekommen. Dessen Webshop war aus Steuergründen gerade geschlossen worden; mir wurde jedoch telefonisch bestätigt, das Toupet bliebe zur Selbstabholung noch ein paar Jahre reserviert. Nachdem wir einander versichert hatten, außer ein bisschen Sightseeing keine Hintergedanken zu verfolgen, beschlossen Irmela und ich gemeinsam zu reisen. Ich packte die Koffer, sie überfiel noch kurz einen Geldtransporter und erstand dann zwei Tickets für die Postrakete nach Bangkok. Den Rest der Reise legten wir im Tretboot zurück, bis wir in der einzigen Siedlung der Trauminsel tatsächlich den Perückenladen fanden. Der Toupetier (Toupetist?) hatte aber mittlerweile ein Vermögen beim Online-Poker gemacht und schenkte uns seinen gesamten Bestand aus dem Lager, welchen wir (zur Deckung von Irmelas Reisekosten) gleich auf dem Basar versilbern wollten. Unser erster Kunde war Karl Scheuermilch, genannt Ranko, ehemals Bassist bei Flokfolk, der sich mit einer Gruppe strandbrauner Cousinen in einer Basthütte niedergelassen hatte, einen Surfblog betrieb und selbst angerührte Gewürzteemischungen verhökerte. Wir jammten eine Runde und verstanden uns prima; ich konnte ein paar Monate bei ihm wohnen, während Irmi schon mal zurückflog und auch in meiner Wohnung nach dem Rechten sah. Als mich die Rakete gen Heimat flog, waren die Haare wieder nachgewachsen – zu meiner großen Überraschung sogar rotblond. Aber da mein Sabbatical vorbei ist, verzichte ich vorerst auf die Dreadlocks. Man will ja nicht anecken.
08/2018